„Ohne internationale Zuwanderung ist das Fachkräfteproblem nicht zu lösen“

Prof. Dr. Dr. Grimminger bei der Kreistagsfraktion der GRÜNEN zu den Perspektiven des GZW

Moratorium bei den Baumaßnahmen am Bad Nauheimer Hochwaldkrankenhaus, Lauterbachs Krankenhausstrukturreform, Ende der Coronahilfen, steigende Kosten, Personalmangel. Anlass genug für die Kreistagsfraktion der GRÜNEN, den ärztlichen Direktor des Gesundheitszentrums Wetterau (GZW), Prof. Dr. Dr. Grimminger, einzuladen und mit ihm über die Perspektiven der kreiseigenen Kliniken zu sprechen.

Für die GRÜNEN-Fraktion ist dieser inzwischen fast traditionelle Austausch mit Prof. Dr. Dr. Grimminger enorm wichtig. Landratskandidat Thomas Zebunke: „In der Regel beschäftigt sich der Kreistag zweimal mit seinen Krankenhäusern. Einmal, wenn es beim Haushalt um die Begleichung des Defizits geht und dann, wenn, von uns GRÜNEN durchgesetzt, einmal im Jahr der kaufmännische Direktor im Ausschuss die Lage der Kliniken erläutert. Aber die großen gesundheitspolitischen Linien bleiben eher außen vor.“

Wirtschaftliche Fehlanreize in Krankenhäusern

Noch ist die von Bundesgesundheitsminister Lauterbach angedachte Krankenhausstrukturreform nicht Gesetz. Prof. Dr. Dr. Grimminger mit seinem über Deutschland hinausgehenden Blick sieht sie trotz der schlechten Koordination in den Ländern in wesentlichen Teilen als richtigen Schritt. Bislang prägten Fehlanreize das deutsche Krankenhaussystem. Unter anderem mit der Folge, dass unnötige stationäre Aufenthalte und operative Behandlungen nicht nur zum Wohle der Patientinnen und Patienten, sondern aus wirtschaftlichen Motiven durchgeführt werden könnten.

Als Konsequenz gibt es in Deutschland wesentlich mehr Betten als in vergleichbaren Ländern, eine mangelhafte Qualitätssicherung und einen strukturellen Reformstau. Die zwei Jahre Coronapandemie haben gezeigt woran es fehlt: Nicht an einfachen Krankenhausbetten, sondern an Intensivbetten, spezialisierten Kliniken, krankenhausübergreifenden Strukturen, vor allem aber an qualifiziertem Personal.

Aufwertung der Pflege behebt Medizinermangel

Grimminger hebt das Beispiel des US-Gesundheitssystems hervor, in dem spezialisierte Pflege eine mehr und mehr arztähnliche Rolle einnehmen und damit anders als hierzulande den Medizinermangel qualifiziert ausgleiche.

Klar für ihn ist, dass es künftig auch hier mehr solche Arztassistenzberufe geben wird und darüber hinaus mehr ambulante Behandlungen und Nachsorge mit entsprechenden krankenhausergänzenden Strukturen etabliert werden. Statt langem Aufenthalt im Krankenhaus, mehr Betreuung in tagesklinischen Bereichen und Pflege zu Hause. Für eine solche Perspektive der Gesundheitsversorgung hätte das GZW seine Hausaufgaben gemacht.

GZW muss in Lauterbachs Plänen berücksichtigt werden

Die Wetterau bräuchte zwei große Krankenhäuser, die Kerckhoff-Klinik und dazu als Allgemeinversorger das GZW. Damit sei eine wohnortnahe Versorgung der Wetterauer Bevölkerung in nahezu allen Bereichen gewährleistet. Zwar seien deren Betreiber unterschiedlich, wichtiger aber sei die funktionelle Integration durch Kooperationsverträge. Wenn man die geplante Gesundheitsreform zu Grunde legt, wäre das die Kooperation von Grundversorgung mit einem hochspezialisierten Schwerpunktkrankenhaus. Würde diese Kooperation weiter gedacht, zusammen mit den Unikliniken in Frankfurt und Gießen-Marburg, entstünde hier ein „Matrixzentrum“, das quasi wie ein flächendeckender Maximalversorger wirkt.  Für die Patientinnen und Patienten ergäbe sich so ein Optimum an Erreichbarkeit und Behandlungsqualität. Dafür, dass solche vernetzten Strukturen in Lauterbachs Plänen ihren Platz finden, habe sich das GZW gegenüber der hessischen Landesregierung eingesetzt.

Für das gesamte GZW hieße das: Fertigstellung des Bauvorhabens am Hochwaldkrankenhaus, danach die Umstrukturierung des Friedberger Bürgerhospitals zu einer ambulanten und tagesklinischen Netzwerkplattform. So würden überflüssige Betten abgebaut und in Friedberg eine zukunftsfähige Versorgungsarchitektur für die Wetterau entstehen. Gedern sei bereits ein ambulanter Standort, die Bad Nauheimer Diabetesklinik eine wichtige „Brückenklinik“ zwischen GZW und Kerckhoff-Klinik, die Psychiatrische Klinik in Friedberg würde gebraucht und könne tendenziell wachsen. Und das Schottener Krankenhaus? Das bliebe defizitär, sei aber als Notfallklinik aus Sicht des Landes unverzichtbar.

Personal international anwerben

Bleibt die Frage nach dem fehlenden Personal. Grimminger sieht Bad Nauheim als sehr guten Standort. Es gehe darum, durch die Investitionen ein modernes Krankenhaus zu schaffen, an dem man gerne arbeite und das die strukturellen Voraussetzungen für die Bedürfnisse des nächsten Vierteljahrhunderts biete. Hinzu kommen neue Berufsfelder im pflegerischen Bereich. All das sei wichtig, reiche aller Voraussicht nach aber nicht. Sein glasklares Plädoyer: „Ohne die Anwerbung und Ausbildung internationaler Kräfte, die mit den derzeitigen Migrationsströmen ins Land kommen, ist dieses Problem für Deutschland langfristig nicht zu lösen.“

Thomas Zebunke: „Aus dem Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Grimminger nehmen wir mit, dass die Baumaßnahme am Hochwaldkrankenhaus in vollem Umfang realisiert werden muss. Die zweite Erkenntnis ist, dass die bislang verfolgten Fusionen mit anderen kommunalen Kliniken aktuell keine Priorität haben. Viel wichtiger ist aktuell der Einsatz dafür, dass Betreiber übergreifende Kooperationen mit benachbarten Häusern, insbesondere den Unikliniken, innerhalb der kommenden Strukturreform Anerkennung finden.“

Vertreter der Kreistagsfraktion im Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Grimminger. Im Bild zu sehen v.l.: Clemens Breest, Carl Cellarius (Flatti), Christa Degkwitz, Michael Rückl, Gerhard Salz, Prof. Dr. Dr. Grimminger, Sylvia Klein, Thomas Zebunke, Brigitta Nell-Düvel und Isabelle McNicol. Weitere Teilnehmerin aber nicht im Bild: Isil Yönter.